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Neues Bauen in Brandenburg an der Havel

In diesem Jahr feiert das Bauhaus, die berühmte Hochschule für Gestaltung, ihr 100-jähriges Jubiläum. Walter Gropius gründete die Schule 1919 in Weimar, um eine „neue Zunft der Handwerker“ auszubilden. Sie sollten Architekten, Handwerker und Künstler in einem sein. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie das moderne Leben gestaltet werden soll. Neues Bauen, neues Leben, ja einige gingen sogar so weit, durch Gestaltung „neue Menschen“ erziehen zu wollen.
Die radikal neuen Ideen stießen schnell auf Empörung vonseiten der erstarkenden Rechten. 1925 musste das Bauhaus nach Dessau umziehen, wo Gropius den berühmten Hochschulbau mitsamt Meisterhäusern errichtete – ein gebautes Manifest aus Stahl, Glas und Beton. Schon wenige Jahre später wurde der Druck von rechts so stark, dass die Bauhäusler 1932 einen letzten, vergeblichen Neuanfang in Berlin versuchten: Nur ein Jahr später musste die Schule geschlossen werden.

Trotz der kurzen Zeit seines Bestehens wird der Name Bauhaus heute oft synonym für moderne Gestaltung verwendet – die Schule war eine wichtige Inspirationsquelle für Künstler und Architekten weltweit. Wenn man‘s genau nimmt, gibt es aber keinen „Bauhausstil“. Vielmehr war das Bauhaus wegweisende Ideenwerkstatt einer internationalen Bewegung, des sogenannten Neuen Bauens. In verschiedensten Ländern drängten nach dem Ersten Weltkrieg ähnliche Fragen, an denen man sich gemeinsam abarbeitete. So zahlreich, wie die Köpfe des Neuen Bauens, so vielfältig sind auch die Ideen und Gestaltungskonzepte, die sie verfolgten und die sich heute noch an vielen Gebäuden ablesen lassen – auch in Brandenburg an der Havel. Gehen Sie mit uns auf Entdeckungstour.

Bild: Fontane-Klub

Ist alles, das schlicht, geschwungen und weiß ist, gleich Bauhaus?

Vielleicht haben Sie gestutzt als Sie das Foto am Anfang der Seite gesehen haben. Richtig so: Das Gebäude des Fontane-Klubs ist alles andere als ein moderner Stahlbetonbau. Es wurde schon 1853 errichtet, nur die ehemals klassizistische Stuckfassade wurde um 1930 im Zuge des Neubaus der Jahrtausendbrücke neu gestaltet. Keine Angst, wir wollen Sie nicht an der Nase herumführen. Wir wollen nur sagen: Brandenburg an der Havel ist nicht Dessau. Die sogenannte weiße Moderne, die alle Geschichte und Traditionen von sich abschütteln wollte, gibt es hier nicht. Brandenburg an der Havel ist die älteste Stadt des gleichnamigen Landes — und wartet daneben mit wunderbarer Architektur der Moderne auf. Hier stehen moderne Siedlungsbauten neben mittelalterlichen Wohnhäusern, bedeutende Kirchen der Backsteingotik neben 800 Jahre später errichteten Industriegiganten des Backsteinexpressionismus.

Es ist diese Mischung, die den Reiz der Stadt ausmacht und von der auch die neue Fassade des Fontaneklubs zeugt. Das 1927 von der Stadt erworbene Gebäude steht direkt am Havelufer, mitten auf der zentralen Geschäftsmeile Ritterstraße und will sagen: Brandenburg an der Havel hat auch ein modernes Gesicht. Um das zu gestalten, machte man sich eines der berühmtesten Markenzeichen der Moderne zu eigen: Die abgerundete Ecke. Um diese in formvollendeter Gestalt mit liegenden Fensterbändern wiederzuentdecken, müssen Sie nur ein paar hundert Meter weiter gehen: zu der um1930 nach Plänen von Werner Schenck errichteten Wohnhauszeile Am Rosenhag 1-3.

Bild: Wohnhauszeile Am Rosenhag 1-3

Was steckt dahinter?

Das deutsche Kaiserreich und der Erste Weltkrieg, denen die Novemberrevolution 1918 eine Absage erteilte, hinterließen der jungen Weimarer Republik eine Vielzahl gesellschaftlicher Probleme. Wohnungsnot und soziales Elend gehörte zu den drängendsten Fragen, auch in der wachsenden Industriestadt Brandenburg an der Havel. Bei den Wahlen zur ersten Stadtverordnetenversammlung 1919 ging die SPD als stärkste Kraft hervor und konnte diese Position bis 1933 beibehalten. Im selben Jahr richtet die Stadtverwaltung erstmalig ein Wohnungsamt unter Leitung des Stadtbaurates Moritz Wolf ein, der dieses Amt 1928 an Karl Erbs weitergab. Im Gegensatz zur wild wuchernden Stadt, die sich bislang nach den Interessen privater Unternehmer richtete, sollte der Ausbau der Stadt nun planmäßig und nach sozialen Gesichtspunkten erfolgen.

Über das gesamte Stadtgebiet verteilt wurden in den 20er Jahren stadteigene Wohnanlagen errichtet, die den Lebensstandard der Menschen maßgeblich verbesserten. Laufen Sie Am Marienberg 3-9 entlang, können Sie die eher „traditionalistische“ Formensprache Wolfs entdecken, mit Walmdächern und expressionistischen Fassadenelementen, wie spitzen dreieckigen Erkern oder teils figürlichen Putzornamenten. Erbs dagegen sah den „künstlerischen Wert“ von Architektur „in der streng zweckmäßig-sachlichen Entwicklung der Bauaufgabe.“ Im Siedlungsgebiet an der Maerckerstraße können Sie sich davon überzeugen, dass seine Bauten trotzdem nicht unbedingt Kälte oder Langeweile ausstrahlen. Durch ihre schwungvolle Anlage und einzelne akzentuierte Elemente, wie die Hauseingänge mit abgerundeten Klinkergewänden, wirkt die Siedlung dem Eindruck entgegen, monoton aufgereiht zu sein. Im Inneren sind die Gebäude zudem durch starke Farbigkeit gestaltet.

Bild: Siedlung Maerckerstraße

Ludwig Hilbersheimer:

„klar, logisch, einfach, unzweideutig, gesetzmäßig“

Mit diesen fünf Worten beschrieb der Bauhaus-Lehrer Ludwig Hilbersheimer knapp seine Gestaltungsprinzipien. Entgegen den reich verzierten Fassaden der Gründerzeit wollte sich das Bauhaus frei vom Ballast der Geschichte machen. Statt auf lokal verwurzelte Traditionen setzten sie auf eine universale Formensprache, die überall auf der Welt angewendet werden konnte. Vom Prinzip her sollte Architektur einem „Baukasten im Großen“ entsprechen, sagte Walter Gropius. Was das konkret bedeutet, lässt sich wunderbar am Gebäudekomplex des Konsumvereins „Vorwärts“ ablesen, der 1930 nach Plänen von Rudolf Schröder erbaut wurde. Das Ensemble besteht aus mehreren, schlichten Putzbauten mit Flachdach. Bemerkenswert ist das Verwaltungsgebäude, das durch seine kubische Gliederung der Gebäudemassen besticht. Zusammen mit der abwechslungsvollen Fensteraufteilung verwirklicht es einen Grundgedanken des Neuen Bauens: Die Funktion im Inneren bestimmt die äußere Form und ist bestenfalls bereits an der Fassade ablesbar.

Oft sind die Bauten durch ein Spiel mit einfachen geometrischen Formen sowie mit Symmetrie und Asymmetrie geprägt, wie auch die Villa Kähne zeigt, die 1920/25 von Leo Nachtlicht errichtet wurde. Statt sich durch eine Hauptansicht zu präsentieren, fordern mehrere runde oder dreieckige Erker und Anbauten dazu auf, um das Gebäude herumzugehen und es so als Ganzes zu verstehen.

Bild: Villa Kähne

Licht, Luft und Sonne

Neben dem Bau von dringend benötigten Wohnungen sah das sozialreformerische Stadtplanungsprogramm der 20er Jahre den Ausbau der sozialen Infrastruktur und der städtischen Grünanlagen vor – schon im 19. Jahrhundert waren Parks als „grüne Lungen der Stadt“ bekannt. Der Ruf nach „Licht, Luft und Sonne“ wurde zu einem wichtigen Motto des Neuen Bauens, um den Arbeitern in den industriell geprägten Städten Erholung zu bieten. Mit dem 1929/30 von Karl Erbs und Willi Ludewig entworfenen Wohlfahrtsforum wurde in Brandenburg ein symbolträchtiges Monument der sozialdemokratischen Kommunalpolitik errichtet – nicht ohne Grund wurde die Grundsteinlegung als Höhepunkt der Tausendjahrfeier der Stadt 1929 gefeiert. In markanter städtebaulicher Lage am Havelufer, vereint der großangelegte Gebäudekomplex ein Krankenkassengebäude, eine Turnhalle und ein Hallenbad. Zu Beginn der Planung war zudem ein Gebäudeflügel mit einer Schule und Wohnungen vorgesehen, der jedoch angesichts der Weltwirtschaftskrise nicht verwirklicht wurde.

Der mit Klinkern verkleidete Stahlskelettbau ist aus mehreren, ineinander geschachtelten Kuben zusammengesetzt – Gropius‘ Baukastenprinzip. Gestaltgebend sind außerdem die großflächigen horizontalen und vertikalen Fensterbänder, die dafür sorgen, dass die Innenräume mit Tageslicht durchflutet werden. Die Fliesen im Inneren der Schwimmhalle sind in Gelbtönen gehalten, wodurch Erbs „einen Anschein von Sonnenlicht“ hervorrufen wollte, auch „wenn‘s draußen regnet oder schneit.“ Weniger naturverbunden finden Sie das Motto übrigens auch am einstigen Verwaltungsgebäude der Stadtwerke: „Licht, Kraft und Wärme“ prangt über dem Eingang.

Bild: Wohlfahrtsforum

Ohne ihre Nähe zur Industrie und ihrem optimistischen Blick in die Zukunft lässt sich die Architektur der Moderne nicht denken. Auch in Brandenburg an der Havel finden sich im Umkreis des bis heute bestehenden Stahl- und Walzwerks zahlreiche Zeugnisse des beginnenden 20. Jahrhunderts. Ausgangspunkt Ihres Rundgangs könnte das Industriemuseum sein, wenngleich es sich bei dem ab 1950 errichteten Neubau des Werks um einen gigantischen Bau der Nachkriegsmoderne handelt. Inmitten ehemaliger Werkstätten können Sie einen Einblick in die Geschichte des seit 1912 stadtbildprägenden Betriebs bekommen.

Vom Selbstbewusstsein der Unternehmer zeugt das monumentale, mit expressionistischen Elementen versehene Backsteingebäude der Hauptverwaltung, das 1925/26 nach Plänen von Wilhelm Rave an der Magdeburger Landstraße erbaut wurde. Südlich davon errichteten die Stadtbauräte Wolf und Erbs seit den frühen zwanziger bis in die dreißiger Jahre diverse Wohnsiedlungen, teils schlicht funktional, teils traditionell gestaltet. Eine Besonderheit ist die evangelische Christuskirche, die 1929 dank eifriger Bemühungen des Gemeindepfarrers vom bedeutenden Kirchenarchitekten Otto Bartning errichtet wurde. Die soziale Funktion der sogenannten „Siedlungskirche“ zeigt sich im Raumprogramm, das neben einem multifunktionalen Saal auch einen Kindergarten umfasste. Mit einfachsten Mitteln, wie einer umlaufenden Holzverschalung und Sichtmauerwerk, schuf Bartning einen atmosphärischen Kirchensaal:

Bild: Christuskirche

Otto Bartning:

„ohne Trug, ohne Prunk, einladend durch ihr stilles Sein.“

Neues Bauen in Branden­burg an der Havel

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Text: Dr. Krekeler Architekten und Generalplaner, Brandenburg an der Havel
https://krekeler-architekten.de
Fotografie: Stefan Melchior

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